Ein Land erinnert sich
Der Zufall wollte es, dass die Reise-Agenda der Wolfs sie zu einem Zeitpunkt nach Ruanda brachte, als das ganze Land zum 25-jährigen Gedenken an die furchtbaren Ereignisse zwischen April und Juni 1994 aufgerufen war. Gedenkfeiern fanden in der Hauptstadt Kigali, aber auch überall in Orten der Provinz statt und die Gedenkgottesdienste der zumeist katholischen Kirchen waren überfüllt von Gläubigen. Die Erinnerung an die damaligen furchtbaren Ereignisse sind bis heute präsent - davon zeugen auch Denkmäler und Texttafeln auf öffentlichen Plätzen oder in kleinen Museen, die sogar Schädel von Ermordeten ausstellen. Sie erinnern auch die überwiegend junge Bevölkerung (65% sind unter 20 Jahren) daran, dass die Mörderbanden der Huthus damals in nur 3 Monaten in einem beispiellosen Gemetzel bis zu einer Million Tutsi und moderate Huthus umbrachten und Zigtausende Tutsi-Frauen vergewaltigten.
Warum???
Der Frage nach den vielfältigen Ursachen der Gräuel wollte auch der Referent nur ganz ansatzweise beantworten. Verständlicherweise. Wie auch will man diesen jähen Gewaltausbruch unvorstellbaren Ausmaßes in ein paar Minuten erklären. Man muss sich die Ereignisse Anfang April ´94 plastisch vorstellen: Nachbarn, mit denen ich als Tutsie samt meiner Familie am 0stersonntag noch die gleiche Kirchenbank geteilt habe, dringen einen Tag später mit Macheten bewaffnet in mein Haus ein, metzeln alles nieder und bereichern sich an meinem Hab und Gut.
Einer der Erklärungsstränge führt laut Wolf jedenfalls zurück in die zuerst deut-sche, dann belgische Kolonialzeit.
Historischer Exkurs zum besseren Verständnis der Ausführungen von E.Wolf
Die Belgier übernehmen 1916 die Kolonie Ruanda von den Deutschen. Die hatten sich, animiert von damals vieldiskutierten Rassismustheorien, die großgewachsenen Ostafrikaner zu ihren Verwaltungsgehilfen herangezogen. Sie seien ja als Abkömmlinge von Ham, dem zweiten Sohn Noahs, nicht so unbildbar wie die kulturlosen Afrikaner. Das Problem nur: In Ruanda, dem Nachbarland von Tansania hatten sich die eher großgewachsenen Zuwan-derer aus dem östlichen Afrika mit den kleineren Ureinwohnern schon lange munter vermischt. Wie also die edler anmutenden Tutsis herausfltern? Das Dilemma, das schon Adolf Hitler in der Judenfrage hatte („Wer ist Jude?“ …) stellte sich für die Belgier sogar noch massiver dar. Religiös gesehen vereinte die von den Belgiern zur Staatskirche erhobene katholische Kirche Huthus und Tutsi. Ausschlaggebend für die Unterscheidung wurde dann letztlich die Anzahl der Rinder. Dem einstmals als Hirtenvolk eingewanderten Tutsi traute man den höheren Viehreichtum zu: Wer also 10 oder mehr Rinder besaß, erhielt 1933 (sic!) einen Ausweis mit dem Eintrag Tutsi, bei allen anderen lautete der auf Huthu. Die ruandische Variante des Arier-Ausweis war geboren. Und dem Hass Tor und Tür geöffnet. Er hörte auch nicht auf, als nach dem Weggang der Belgier 1962 die Huthus es in blutigen Kämpfen schafften die Macht zu übernehmen. Im Gegenteil: Im April 94 riefen sie zu einer „Endlösung“ auf – ohne KZ´s und Gasdusche, dafür aber mit landesweit ausgehändigten Macheten und einem Mordbefehl an jeden Huthu. Wer sich dem Abschlachten verweigerte, wurde selbst abgeschlachtet.
Hätten die Massaker verhindert werden können?
Möglicherweise schon, denn sie nahmen erst richtig Fahrt auf, als die 2000-köpfige französische UN-Truppe mit dem Segen des damaligen UN-Generalsekretärs Butro Butros-Gali abzog und damit das Land sich selbst überließ . Wer würde da nicht an das andere Versagen der Uno-Truppen 1995 im bosnischen Srebrenica denken!
Die Aufarbeitung
…war ein langwieriger Prozess. Für die Hauptverantwortlichen der Massaker, soweit sie sich nicht in den Kongo oder nach Europa abgesetzt hatten, fand seit 1995 auf UN-Initiative ein ad hoc-Tribunal in Arusha im Nachbarland Tansania statt. Über die 21 Jahre seiner Arbeit hinweg wurden 95 Personen angeklagt und 65 verurteilt. Einige der geflohenen Verantwortlichen wurden in den letzten Jahren auch in Belgien und Deutschland verurteilt.
Wie aber sollte man verfahren mit den ca. 150.000 niederen Chargen, die in hoffnungslos überfüllten, rasch improvisierten Gefängnissen einsaßen?
Die Gacaca-Gerichte
Mangels Gerichtspersonal in dem zerrütteten Land erinnerte man sich Ende der 90er Jahre an die ruandische Tradition der gacaca (wörtlich: Rasen/Wiese)-Gerichte auf dem Lande. Nach ihrem Muster konnten Täter dann von 2002 bis 2012 vor einem Rat der Ortsältesten und in Gegenwart der Dorfbewohner zu den Vorwürfen der überlebenden Genozid-Opfer Stellung nehmen. Bereuten sie und sprachen sie eine Entschuldigung aus, so waren sie rehabilitiert. „Konntest du als Opfer deinem Peiniger wirklich verzeihen?“ Diese Frage an einen der vielen Gesprächspartner des Ehepaares hat dieser dem deutschen Gast beantwortet mit: „Ja, denn wir wissen im tiefsten Innern, dass wir alle aus einem Brunnen trinken.“
2017 war es dann endlich so weit, dass ein weiterer Schuldiger an den Massakern seine Mitschuld öffentlich eingestand. Nach einem Besuch des ruandischen Präsidenten bei Papst Franziskus bat dieser um Entschuldigung für das Wegschauen großer Teile des Klerus. Einige Priester hatten sogar die Schlüssel ihrer Kirche ausgehändigt, in der die verfolgten Tutsi ihre letzte Zuflucht zu hoffen fanden.
Der Langzeit-Präsident: Paul Kagame
Der damalige Führer der Befreiungstruppen des Landes ist bereits seit 20 Jahren sein Präsident: Paul Kagame. Er sowie das ruandische Parlament haben den 15 Mio. Ruandern ein striktes Verbot jeglicher Zuschreibung von Huthu- und Tutsi Zugehörigkeit ausgesprochen. Ansonsten stellt Kagame eine schillernde Gestalt dar, ein Mann, der zwar sein Land zielstrebig nach vorne bringt, mit Regierungs-kritikern aber nicht zimperlich umgeht. Kein Wunder daher, dass zuweilen die Gesprächspartner des deutschen Besuchers auffallend kleinlaut wurden, wenn die Rede auf regierungskritische Punkte kam.
Ruanda – ein afrikanisches Vorzeigeland?
Beeindruckend sei es schon, so der Redner, durch eine afrikanische Hauptstadt zu fahren, wo die Straßen und die Abwasserkanäle daneben sauber und die Kleinbusse anders als etwa in Nairobi nicht überladen sind. Teile der Stadt unterscheiden sich kaum von einem business-Stadtzentrum in Europa, Slums sucht man vergeblich und einmal im Monat ist jeder zum Einsatz bei einer Art Dreck-weg-Tag aufgerufen. Es wirkt, als hätte sich Ruanda Singapur zum Vorbild genommen.
 Ebenso beachtlich fanden die deutschen Gäste die Rolle der Frauen. Sie sind allenthalben am Wirtschaftsleben beteiligt, stellen im Parlament 61% der Abgeordneten und 4 der Ministerposten werden von Frauen bekleidet. Ihre gute Stellung verdanken sie nicht zuletzt dem großen Mangel an Männern nach dem Genozid (ca. 70% der Bevölkerung war damals weiblich), aber anders als im Stellung durchgängig zu bewahren.
Jobs schaffen- aber wie?
Mit großem Eifer versucht die Regierung aus dem Kleinbauernland Ruanda einen hotspot für hightech und IT zu machen. Kagama sähe es gerne, wenn Ruanda sich in Richtung eines afrikanischen Silicon-valley verwandeln würde, und die jüngsten Gespräche über den Bau eines Mercedes-Werks für E-Autos geben dieser Hoffnung zumindest einen kräftigen Schub.
Die Idee ist nachvollziehbar, der demografische Druck durch die Jugend ist enorm. Die Jungen wollen weg von den Mini-Selbstversorger-Höfen auf dem Land und rein in die Weiße-Kragen-Jobs in den Städten. Unter den Oberschülern träumt man von Stipendien in China oder auch in der BRD; gerne auch in der FH in Kaiserslautern.
China – der bessere Partner?
Unübersehbar ist das chinesische Engagement in Ruanda. Als – relativ kleiner – Baustein im Großprojekt „Neue Seidenstraße“ nimmt Ruanda die chinesischen Angebote für Großprojekte und Handelspartnerschaften gerne an. Im gleichen Maße schwindet die Bedeutung der „alten“ europäischen Wirtschaftspartner.
Das „think big“ der chinesischen joint venture- Unternehmungen scheint in Regie-rungskreisen auch die Bedeutung der Partnerschaft zum langjährigen Partnerland Rheinland -Pfalz zu schmälern. Schulbau, Wasser- und Stromversorgung auf dem Land nach „Graswurzel-Manier“ haben nun einmal nicht annähernd den Glanz und das Geschäftsvolumen mancher Großbau-Projekte in Kigali.
Ob China mit seinen starken Eigeninteressen wirklich ein so guter Partner für das Land ist, wagten in der anschließenden Diskussion einige zu bezweifeln. Der Redner aber hielt Kagame für clever genug, das Land vor einem Ausverkauf zu bewahren.
Um kurz vor halb zehn endete die lebhafte Diskussionsrunde. Sie hätte noch fortgedauert, aber der Referent musste zusehen, dass er seinen Zug nach Mainz nicht verpasste.
KH